Arosa, Schweiz

Resi in Arosa, Lebenslinie HDIGH
Liebe Resi, wo erwische ich dich gerade?

Ich bin in Arosa. Das ist ein Ort in den Schweizer Bergen, man fährt von Chur 30 km eine Bergstraße mit 365 Kurven hinauf, er liegt am Ende einer Sackgasse. Das macht den Platz hier auch so besonders. Es ist nicht nur die wahnsinnig schöne Berglandschaft, in die das Dorf eingebettet ist, sondern auch, dass es kaum Verkehr gibt. Hierher kommen nur die Menschen, die wirklich hierher möchten. Ich habe schon einige Winter in Arosa verbracht, jetzt bin ich zum ersten Mal auch im Sommer hier.

Wie ist deine aktuelle Berufsbezeichnung? Bist du Sennerin?

Nein, nein! Eine Sennerin muss auch melken, Butter und Käse machen. Ich bin eine Hirtin. Und ich habe mir damit einen Traum verwirklicht. Ich wollte schon vor 15 Jahren auf die Alm gehen und habe mir den Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht so ganz zugetraut. Nach acht Jahren Wien und fünf Wintersaisonen in der Schweiz, habe ich letzte Saison beschlossen, auch im Sommer zu bleiben. Ich möchte wieder mehr reisen, ich möchte mir einen LKW-Camper oder einen großen Bus zulegen und dafür bietet sich so eine Saison in der Schweiz gut an, um Geld zur Seite zu legen.

Wie findet man einen Job als Hirtin?

Ich habe schon während meiner Wintersaison mit der Suche begonnen, ich habe mich bei den Leuten im Dorf umgehört und es gab sehr widersprüchliche Meinungen, ob ich eine Stelle finden könnte. Eines Tages ging ich mit einem Freund hier in Arosa spazieren und wir kamen an der Furgga-Alp vorbei. Und ich dachte mir: “Ist das schön, hier will ich arbeiten!” Nicht einmal eine Woche später bekam ich eine E-Mail (aufgrund meines Inserats auf der Webseite zalp.ch) vom dortigen Alpmeister – dem Chef dieser Alp – mit der Frage, ob ich noch einen Job auf der Alp suche. Wir haben uns sofort getroffen, ich habe kurz darauf den Vertrag unterschrieben und somit war schon im Januar klar, wo ich im Sommer arbeiten und wohnen werde!

Wolltest du dezidiert mit Kühen arbeiten?

Nein, eigentlich gar nicht. Aber nachdem ich von einem Bauernhof komme, mit Tieren aufgewachsen bin und noch immer Tiere habe – mein Hund ist hier bei mir, mein Pferd ist in Österreich – habe ich mir in den Kopf gesetzt, dass ich auch einmal eine Arbeit mit Tieren machen möchte, in der Natur. Ich hatte davor noch nie etwas mit Kühen zu tun, meine Eltern hatten früher Milchschafe, Pferde, Ziegen, Hühner. Doch als es sich ergeben hat, dachte ich nur “super, das mache ich”. Ich habe hier auch keine Milchkühe, sondern Galtvieh – das sind Rinder, die keine Milch geben. Junge Tiere bis zwei Jahre, die immer auf der Weide sind. Ich schaue auf 112 Tiere, wären das 112 Milchkühe wäre das alleine gar nicht zu bewältigen, da muss man zu dritt oder sogar zu fünft sein, wenn die Milch auch verarbeitet wird. Ich habe dagegen Zeit, die Tiere kennenzulernen und mit ihnen zu kuscheln. Jedes Tier hat einen anderen Charakter und jede Verbindung, die über die Zeit entsteht, ist so ein wertvolles Geschenk. 

Wie sieht dein Tagesablauf aus und was sind deine Aufgaben mit den Tieren?

Meine Hauptaufgabe besteht aus zäunen, das heißt das Weidegebiet der Kühe einzugrenzen. Das gesamte Gebiet, auf dem sie sich bewegen, ist ca. 130 Hektar groß, Wiese für Wiese wird mit Zäunen abgetrennt – teils bilden Berge, Flüsse oder Abgründe die Begrenzungen – und wenn die Tiere eine Wiese komplett abgefressen haben, öffne ich die nächste Weide. Ich muss kontrollieren, ob es ihnen gut geht, das Gebiet ist zum Teil richtig steil, ich muss nachsehen, ob sie sich verletzt haben und sie medizinisch versorgen. Ich muss auch alle drei Tage salzen, das heißt Salz auf große Steine streuen, damit die Kühe es auflecken können. Und ich muss sie zählen! Ich dachte anfangs, das kann ja nicht so schwierig sein, aber zähl einmal 112 Kühe! Jede Kuh hat eine Ohrenmarke mit einer Nummer und ich hake sie der Reihe nach auf einer Liste ab. Die jungen Kühe sind scheuer, andere sind zutraulicher, ich kann näher hingehen und sie zählen. In steilem Gebiet muss ich ein Fernglas benutzen, manchmal ist es so steil, dass du nur mit allen vieren bergauf gehen kannst.

Gab es Menschen an deiner Seite, die dich unterstützt haben, damit du den Job machen kannst, wie du ihn machst?

Ich habe auf jeden Fall viel Unterstützung bekommen. Es wäre durchaus alleine zu schaffen gewesen, aber “dank” Corona habe ich viel Unterstützung von Freunden und von Menschen aus dem Dorf bekommen. Jungs haben mir beim Zäunen geholfen, und meine beste Freundin Maggie hat mich in den ersten beiden Monaten in jeglicher Hinsicht unterstützt. Auch danach hatte ich immer wieder Hilfe, z. B. wenn ein Weidwechsel zu höher gelegenen Almen anstand, denn da kann es schon einmal zwei, drei Tage dauern, alle Kühe von A nach B zu bringen.

Wie fühlt es sich nun an, dass du dir diesen lang gehegten Wunsch erfüllt hast?

Ja Hammer natürlich 🙂 🙂 🙂 Ich bin auch natürlich auch an meine Grenzen gekommen, das habe ich vorher schon vermutet. Körperlich und mental. Körperlich, weil das Gebiet sehr steil ist und es große Strecken zurückzulegen sind, wenn man Zäune aufstellen muss und noch mehr wenn ich eine der Kühe suchen muss. Die letzte Weide, auf der ich die Kühe hatte, war 2 ½ Stunden zu Fuß entfernt und man muss bei jedem Wetter raus. Mental hatte ich anfangs vor allem wegen der großen Verantwortung zu kämpfen. Ich habe mir laufend Fragen gestellt wie “Habe ich den Zaun eh richtig montiert?” oder “Was mache ich, wenn eine der Kühe ausbricht?”. Bei meinem Job als Therapeutin, Masseurin oder Kellnerin konnte ich nach Feierabend viel leichter abschalten. Aber ich wollte wieder einmal etwas anderes machen und habe gewusst, das wird nun anstrengend und herausfordernd. Das ist es aber auch, was das Leben so spannend macht. Ich habe mich hier ordentlich ins kalte Wasser geschmissen, das Jahr 2020 war wirklich anstrengend, weil alles neu war und ich die Abläufe nicht gekannt habe. Ich wusste nicht, wie ein Weidwechsel funktioniert, wo ich zäunen muss, wie ich Antibiotika gebe, und so weiter. Nächste Saison wird das schon viel einfacher werden.

Wie bist du mit den Zweifeln umgegangen?

In erster Linie habe ich ganz viel Unterstützung von meinem Chef Dani bekommen, er meinte schnell, ich solle mir nicht so viele Sorgen machen und hat mich bestärkt, dass ich alles ganz super mache. Und ich habe mir selbst auch immer wieder gesagt, es bringe nichts, mich fertigzumachen. Wenn die Kühe ausbrechen, brechen sie aus. Fertig. Dann muss ich sie eben suchen. Mir war ja bewusst, dass es normal ist, sich Sorgen zu machen, wenn man einen Job zum ersten Mal macht. Und ich habe dieses Gefühl auch zugelassen. Dadurch wurde ich selbst gelassener, Ängste und Unsicherheiten haben sich aufgelöst. Und manchmal hat das eine oder andere Bier geholfen.

Ich habe dich als sehr flexible Person kennengelernt. Wie hast du dir mit dieser neuen Situation getan? Musstest du dich sehr anpassen?

Nachdem ich ja doch eine bin, die immer wieder neue Sachen ausprobiert, viel reist und auch sehr viel alleine unternimmt, war es für mich vielleicht nicht so arg wie für jemanden, der zum ersten Mal von zu Hause weggeht oder zum ersten Mal einen Jobwechsel macht. Und ich bin auch mit Tieren aufgewachsen, so gesehen habe ich hier sofort ein sehr heimeliges Gefühl gehabt. Jedes Mal, wenn ich gestresst oder müde war, haben mir die Tiere auch so viel zurückgegeben. Wenn ich zum ersten Mal einen Adler gesehen habe etwa, oder wenn eine der Kühe entgegen gerannt kommt und dich von oben bis unten abschleckt. Und nachdem ich ja schon immer mit Tieren zu tun hatte, war das auch auf jeden Fall etwas, das mir sehr viel gegeben hat.

So stellt man sich das wildromantische Leben auf der Alm vor!

Ja 🙂 🙂 Aber du hast schon mitgekriegt, es ist nicht immer ganz so romantisch. Ich habe es aber tatsächlich recht gut erwischt, müsste ich mich etwa um Milchkühe kümmern, müsste ich jeden Tag um 4.00 Uhr früh aufstehen, um die Tiere zu melken. Ich habe hier wirklich eine super Stelle gefunden. Die gebe ich so schnell nicht mehr her!

Das klingt beinahe so, als ob es sich gar nicht um Arbeit handelt. Wie siehst du das?

Ja, es fühlt sich die meiste Zeit tatsächlich nicht wie Arbeit an. Nicht so wie früher, als ich in Hotels im Service gearbeitet habe. Es ist, als ob du deinen eigenen Hof hättest, vor Ort ist niemand, der mir sagt, was sich zu tun habe. Ich kann mir alles selbst einteilen, was im ersten Jahr herausfordernd und schwierig war, weil ich ja mal checken musste, wie der ganze Ablauf und Rhythmus ist, aber grundsätzlich ist das toll. Ich bin hier meine eigene Chefin – auch wenn ich es oft genug verflucht hatte, wenn die Kühe ausgebrochen sind oder wenn sie bei einem Weidwechsel nicht mehr vorwärts gehen wollten, wenn du zu dritt schon schreiend und schwitzend versuchst, diese sturen Schatzilis zu bewegen. Dann dachte ich “Oh Gott, was habe ich mir da angetan” 🙂 Aber sonst fühlt es sich nicht nach Arbeit im herkömmlichen Sinn an. Es ist schon voll cool. Ich lebe meinen Traum. Und das sagen zu können, ist einfach so mega cool. Ein riesiges Abenteuer und ich freu mich schon so auf den nächsten Sommer.

Vitae

Im Südburgenland aufgewachsen ist Resi mit 26 Jahren nach Wien  gezogen, um ihre Ayurveda-Ausbildung zu beginnen. Von dort hinauf in die hohen Berge der Schweiz. Wieder zurück nach Wien. Und wieder zurück in die Schweiz. Dazwischen mit dem Bus und der besten Freundin in Europa und Südamerika. Immer auf der Reise.

Die wichtigsten Berufe auf der Alp

Hirt*in
Zusenn*erin
Senn*erin

Die Schweizer Kuh

steht in der Regel von Mitte Juni bis Ende September auf der Alp und kommt somit auf ca. 90 Tage am Berg. 

Alles ist möglich.
Alles ist erreichbar.