Taschnerin, Salzburg

Header Christina Roth Ledermanufaktur im Gespräch mit HDIGH © Christina Roth
Liebe Christina, erzähl mir, was dir an deiner Arbeit als Taschnerin so gut gefällt.

Ich mag es, mit meinen Händen zu arbeiten. Würde bei mir der Strom ausgehen, könnte ich trotzdem weiter arbeiten – so etwas gibt es heutzutage kaum mehr. Und ich kann etwas erschaffen, wovon die Menschen einen echten Nutzen haben. Klar, Objekte wie eine fünfte Handtasche sind Luxus, aber wenn du jemandem eine Geldbörse machen kannst wie die, die er über 20 Jahre genutzt hat, ist das besonders. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, du kannst etwas herstellen, das jemanden irgendwo auf der Welt jeden Tag begleitet. Ich mag es außerdem, dass wir in dem Beruf Werkzeuge, Materialien und Techniken wie vor 100 Jahren verwenden. Hier verändern sich die Dinge sehr langsam und wenn man sich das Grundwissen einmal angelernt hat, geht es nur mehr darum zu lernen und zu perfektionieren. Das finde ich besonders spannend: Es ist kein Beruf, der sich dauernd ändert und trotzdem in Zeiten wie diesen seinen Platz hat. 

Und ich mag, dass es ein irrsinnig schwerer Beruf ist, du schwitzt und baust Muskeln auf – und gleichzeitig ist extrem feine Arbeit notwendig. Ob das Leder für eine Geldbörse auf 0,4 oder 0,5 mm gespalten ist, machte einen großen Unterschied in der Verarbeitung. Es ist die ganze Bandbreite, die Vielfalt in dem Beruf. Ich habe mich schon immer für viele unterschiedliche Dinge interessiert, viel probiert und gemacht – es war immer schwer, das alles in einen einzigen Beruf zu packen. Und nun funktioniert das sehr gut.

Was hast du davor gemacht?

Weil eine AHS-Matura keine besonders spezifische Ausbildung ist, wollte ich studieren. Ich war sehr offen und habe mich letztendlich für den Klassiker BWL entschieden, weil ich dachte, damit kann ich am meisten anfangen. Hätte mir aber jemand gesagt, ich müsse Architektur inskribieren oder Psychologie, hätte ich das auch getan – weil ich an allem etwas Spannendes finde. Ich fand BWL allerdings sehr vielseitig und habe nach meinem Master in Spanien auch noch einen Master in Wirtschaftsethik gemacht.

Das klingt alles noch weit entfernt von Lederwaren.

Nach dem Studium wollte ich mich belohnen. Ich wollte mir eine Tasche gönnen, habe aber mit den bekannten Marken wenig am Hut. Ich hatte sehr genaue Vorstellungen und war auf der Suche nach jemandem, der die umsetzen konnte. Ich wurde in Wien fündig. Weil mich viele Menschen auf die Tasche angesprochen hatten, sah die BWLerin in mir sofort einen Profit, wenn ich etliche Stücke davon produzieren und verkaufen würde. Nachdem sich die Frau in der Zwischenzeit allerdings schon zur Ruhe gesetzt hatte, bin ich in Salzburg zu einem Taschner gegangen. Und als ich die Werkstatt betrat, war ich hin und weg. Es war wie ein Mensch, der dich vollkommen fasziniert. Wie Liebe auf den ersten Blick.

Der Beruf braucht ja vor allem Übung, wie bist du das angegangen?

Anfangs war ich sehr naiv und dachte, das kann nicht so schwer sein: Ein bissl üben, ein bissl basteln, ein bissl zusammennähen, das wird schon passen. Ich bin ins Bauhaus gefahren und habe mir dort alles zugelegt, von dem ich dachte, dass ich es brauchen könnte. Die ersten Ergebnisse waren so katastrophal, dass ich noch bis heute glaube, dass ich nicht wirklich viel Talent für den Beruf habe. Durch meinen Ehrgeiz, gepaart mit der Liebe, die da entfacht wurde – ich hatte definitiv eine rosarote Brille auf –, habe ich mich aber immer exzessiver hineingestürzt, immer mehr Werkzeug gekauft und immer mehr Platz in der Wohnung für die Arbeit freigemacht. So hat alles begonnen.

Und das alles neben deinem 40-Stunden-Job als Projektmanagerin?

Ja, ich habe monatelang – eigentlich sogar jahrelang – alles hintenan gestellt. Man kann keine zwei Dinge so kompromisslos machen. So blieb mir für das Lederhandwerk nur das Wochenende, an denen ich manchmal nur im Augenwinkel die Sonne auf- und untergehen sah.

Hast du dir alles selbst beigebracht?

Es gibt einige alte Bücher, in denen die Techniken gut erklärt werden. Weil sie aber eben alt waren, wurden da Materialien von irgendwelchen Firmen gelistet, die es schon lange nicht mehr gab. Während es für andere Hobbys viele Youtube-Tutorials, Blogs oder einfach andere Menschen gibt, bei denen man nachfragen kann, gab es auf diesem Bereich nichts. Das war zu einem gewissen Zeitpunkt sehr frustrierend und ich dachte, ich muss mich mit jemandem austauschen.

Wo findet man so jemanden, wenn eine Berufssparte so klein ist?

Ich habe drei Menschen gesucht, die meinem Verständnis von dem Handwerk entsprachen, deren Stil ich bewunderte und die ich generell als die Besten der Welt empfand. Ich habe sie nach einem Praktikumsplatz gefragt. Nun, einer antwortete mir, das käme gar nicht infrage, einer antwortete gar nicht und der Dritte lud mich zu sich nach Japan ein, unter der Bedingung, dass ich ihn bezahlte. So nahm ich mir drei Wochen Urlaub und flog nach Japan.  

In den ersten beiden Tagen habe ich nur Werkzeug geschliffen. Immer, wenn er aus dem Raum ging, wusste ich nicht, wann er zurückkommen würde, also habe ich immer weiter geschliffen. Ich hatte schon einen Muskelkater, er hat sich meine Arbeit nur kurz angesehen und gesagt “not good. more. more.”. Also habe ich weiter geschliffen. Ab dem dritten Tag durfte ich auch andere Dinge machen, allerdings nur von 10:00 bis 16:00 Uhr und mit einer Teepause dazwischen. Alles war sehr Zen. Es war viel mehr als das Handwerkliche, der Aufenthalt hat mich auf allen Ebenen berührt. Danach hatte ich vollends einen Narren an der Arbeit gefressen und konnte natürlich nicht mehr loslassen.

Zurück in Österreich ging es aber wieder in deinen “normalen” Beruf?

Ja, genau. Ich mochte meinen Bürojob ja auch sehr gerne. Ich bin aber seit jeher sehr ehrgeizig und wenn ich etwas mache, will ich auch weiterkommen. Ich habe eingesehen, beides gleichzeitig würde auf Dauer nicht funktionieren – vor allem weil der Beruf der Ledergalantierieerzeugung ein geschlossenes Gewerbe ist. Das heißt, du brauchst zum Verkauf der Waren eine Gewerbeberechtigung und diese wiederum erfordert eine Meisterprüfung oder zumindest den Besuch der Berufsschule, wenn du die unternehmerischen Fähigkeiten anderweitig nachweisen kannst. Ich war nun schon an dem Punkt, wo ich einige Dinge gut beherrschte – ich konnte sie aber nicht verkaufen.
Also dachte ich nach: Ich mochte meinen Beruf als Projektmanagerin und ich war auch gar nicht so schlecht darin. Ich war mir aber sicher, dass es viele andere Menschen gäbe, die das ebenso gern wie gut machen würden – und dass mich die Welt dort nicht unbedingt bräuchte. Das Handwerk hingegen betrieben nur mehr wenige und noch weniger stellten Lehrlinge ein. Ich hatte den gesamtgesellschaftlichen Gedanken, das Handwerk weiterleben zu lassen und das Verständnis für das Handwerk zu vermitteln. Ich dachte, wenn ich schon eine Leidenschaft dafür hatte, sollte ich sie auch nutzen. Und so habe ich mich entschieden, das Geld zu investieren und noch einmal zur Berufsschule zu gehen. Und wenn du das einmal gemacht hast, lässt du es nicht mehr bleiben – dann wollte ich mir zumindest das Geld zurückholen, das ich investiert hatte. Und wenn du erst einmal eine Werkstatt mit fixen Öffnungszeiten hast, kannst du auch keinem anderen Job mehr nachgehen.

Das klingt alles so, als wärst du dir entlang dieses Wegs immer sehr sicher gewesen. Oder gab es auch Zweifel?

Ich glaube dadurch, dass ich mir so viel Zeit genommen habe und alles so langsam gewachsen ist, gab es nie einen Punkt, an dem ich nicht mehr ein oder aus wusste. Das Ganze hat sich über acht Jahre entwickelt. Zwischendurch gab es natürlich viele Überlegungen, ich wuchs aber mit dem Projekt, wurde immer sicherer und konnte mich immer besser auf mein Bauchgefühl verlassen.
Auch finanziell war es kein großes Risiko. Einfach aus dem Grund, weil ich mich nicht von heute auf morgen selbstständig gemacht habe und keinen Kredit von zigtausend Euro aufnehmen musste. Auch das ist gewachsen. Ich habe über die acht Jahre durch viel Geld investiert, aber ich habe mir auch zu jedem Geburtstag oder zu Weihnachten Werkzeug und andere Utensilien gewünscht. So musste ich, als ich in die Berufsschule gekommen bin, nicht mehr Maschinen und Werkzeug um 15.000 Euro kaufen, sondern hatte alles schon abbezahlt.
Wenn man erst einmal selbstständig ist, gibt es natürlich neue Überlegungen: Was passiert wenn ich mich verletze, wen kann ich um Rat fragen, wann rentiert sich meine Arbeit? Ich lerne ja immer noch und brauche manchmal noch waaahnsinnig lange für die Dinge, weil ich niemanden fragen kann. Gerade in der Maßanfertigung machst du immer wieder Dinge, die komplett neu sind. Und dadurch brauch ich auch länger und der Return of Investment ist gering. Aber ich dachte mir immer, wenn du viel und hart arbeitest und etwas wahnsinnig gern machst, dann wird es schon funktionieren.

Hast du nun dein Hobby zum Beruf gemacht?

Ich habe es sehr genossen, als ich das Handwerk nur als Hobby betrieben habe – ich musste mich um nichts anderes kümmern als das reine Tun. Ich hatte keine Kunden, musste keine Steuern abgeben, keine Webseite betreiben, mich nicht um die Logistik kümmern – nichts. Das war, glaub ich, sehr wichtig, weil so die Liebe zum Handwerk wachsen konnte. Der Anfang kann mit viel Frustration verbunden sein, wie ich weiß und wenn gleichzeitig die unternehmerische Frustration dazu kommt, kann das schnell nach hinten los gehen.

Wie sieht jetzt dein Alltag aus, wie kann man sich die Arbeit einer Taschnerin vorstellen?

Ich komme immer etwa zwei Stunden vor meinen Öffnungszeiten in die Werkstatt. Dann kann ich in Ruhe Arbeiten erledigen, bei denen der Kleber stinkt oder es richtig ausschaut – oder Kanten mit Farbe einstreichen, damit sie tagsüber trocknen können, bevor ich sie wieder schleifen kann. Ansonsten habe ich keinen geregelten Tagesablauf, ich kann mich auch nicht in Effizienzkonstrukte drängen lassen wie du darfst nur zwei Mal am Tag E-Mails checken – das funktioniert bei mir nicht. Ich mache tagsüber Dinge, die in der Werkstatt anstehen: alles von Reparaturen bis zu den Fotos und Videos, bevor ein Produkt abgeholt wird. Abends mache ich alles Organisatorische, ich poste auf Social Media oder recherchiere nach neuen Materialien.

Was meinst du, bist du in deiner Tätigkeit angekommen?

Es fühlt sich an, als hätte ich die Liebe meines Lebens gefunden. Ich glaube, es ist gleich wie in einer Partnerschaft. Obwohl es der härteste Job ist, den ich jemals gemacht habe und extrem viel Arbeit erfordert – auch die Liebe zu dem Beruf – glaube ich, dass ich ihn in irgendeiner Form sehr, sehr lange machen werde. Wie überall verändert sich der Job vielleicht ein bisschen, man entwickelt sich weiter, man baut aus, wie auch immer – in dem Handwerksumfeld bin ich aber auf jeden Fall angekommen.

Vitae

Christina Roth ist Ledergalanteriewarenerzeugerin – besser bekannt als Taschnerin. Der seltene Beruf aus der Gruppe der Sattler*innen erfordert gleichermaßen Kraft und Fingerspitzengefühl. Und schafft es mit seiner Vielfalt, die vielen Interessen der studierten Betriebswissenschaftlerin zu bündeln.

Meine Werkstatt

Im Herzen Salzburgs macht Christina Maßanfertigungen und Reparaturen von Lederwaren mit Methoden wie vor 100 Jahren. Da kann auch schon einmal der Strom ausfallen.

christinaroth.at

Mein Lieblingsstück

“Am liebsten mache ich Schreibtischunterlagen, weil ich sie so imposant finde. Ein Stück, das bei jemandem zu Hause liegt – gezeichnet vom Leben und mit der Erinnerung an mich und die Liebe, die ich hineingesteckt habe.”

Wenn du viel und hart arbeitest, und wenn du etwas wahnsinnig gern machst, dann funktioniert das immer.