Saltspring Island, British Columbia, Kanada

Saltspring Island for HDIGH Photo Credit © Anna-LinaChutter
Alles begann 2011, als du beschließt eine Auszeit von deinem damaligen Job zu nehmen. Wie kam es dazu?

Ich war die Ein-Personen-Inhouse-Consulting-Abteilung eines größeren österreichischen Bauunternehmen. Und wurde mir sehr schnell bewusst, dass es diese gläserne Decke für Frauen gibt und der Versuch diese durchzubrechen, reine Energieverschwendung ist. Ich wollte es lange nicht wahrhaben, musste aber irgendwann akzeptieren, dass man als Frau immer noch mit zweierlei Maß gemessen wird und ich hatte schlichtweg keinen Bock mehr da drauf. Nun gab es zwei Möglichkeiten: Ein Unternehmen, mit dem ich mich vollkommen identifizieren konnte oder die Selbstständigkeit. Ein solches Unternehmen habe ich nicht gefunden. Ich wollte zudem auch etwas Grundsätzliches ändern. So zog es mich in die Selbständigkeit. Die sich als richtiger Weg herausstellte. Es klingt doof, aber ich war 2011 und 2012 sehr oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Vieles ist mir dank meines Netzwerkes wie man so schön sagt, in den Schoß gefallen.

Von welchen Orten sprichst du?

Zuerst einmal den sprichwörtlichen. Aber auch von sehr realen. Ich habe Ende 2011 auf einer Indienreise meinen Ehemann kennengelernt. Es stellte sich schnell heraus, dass es sich nicht nur um einen Urlaubsflirt handelt, sondern das Interesse auf beiden Seiten echt war. Er überraschte mich am Valentinstag mit einem Besuch in Österreich und wir begannen Pläne zu schmieden. Ich hatte noch zwei Monate von meinem Sabbatical übrig und wollte sie in Kanada verbringen. Mein Mann hatte zu dieser Zeit ein Tech-Start Up in Vancouver. Doch es kommt immer anders! Das Start Up hatte ein Investment eines Accelerator-Programms im Silicon Valley bekommen und so reiste ich nicht nach Kanada sondern begleitete ihn nach Mountain View in Kalifornien. Dort arbeiten fast alle Einwohnerinnen und Einwohner entweder bei Google, Facebook oder in einem StartUp. Ich hörte mir in der berühmten Stanford University öffentliche Lesungen an, fuhr in Santa Cruz und Halfmoon Bay surfen und lernte sehr interessante Menschen in den Cafes des Ortes kennen, in denen ich mir so langsam meine Selbständigkeit aufbaute und erste Kundenprojekte an Land zog. Nach etwa 6 Wochen fuhren wir entlang des Highway 1 wieder nach Vancouver retour, zurück in die Heimat meines Mannes. Es gab gar keine Diskussion mehr, dass es irgendwann einmal unser gemeinsames Zuhause werden kann. Doch bis es soweit war, gab es noch einige Zwischenstationen in unserem Leben, denn als Nicht-Kanadierin für längere Zeit zu bleiben ist gar nicht so einfach.

Wie ging es weiter in eurer Beziehung bzw. auf deiner beruflichen Laufbahn?

Wir sind dann in einer Fernbeziehung mehrere Jahre zwischen Vancouver und Bregenz gependelt. 2013 haben wir an einem kleinen Ort an der wilden Pazifikküste in strömendem Regen und Sturmböen geheiratet. Eine Hochzeit macht die Einwanderung nicht unbedingt einfacher. Während wir nun auf meine Papiere gewartet haben, haben wir beschlossen, für ein Jahr nach Berlin zu ziehen. Das war unbürokratischer als für mich in Kanada bleiben zu können. Und für einen Englisch-Native Speaker ist es in Berlin einfacher als in Bregenz am Bodensee. Und dann habe ich meine Zelte abgebrochen und bin mit James 2014 nach Berlin gezogen. Das war dann der endgültige Schlussstrich unter das Kapitel Österreich.

Es braucht viel Mut seine Zelte an einem sicheren Ort abzubrechen. Was hat dir die Zuversicht gegeben, dass das funktioniert?

Ich lebte ein bisschen nach dem Motto “go with the flow” oder “man weiß es erst, wenn man es ausprobiert hat”. Ich hatte zu der Zeit keinen konkreten Plan, außer meinen Businessplan. Wir hatten die Chance in Berlin Wedding ein Loft ein einem alten Industriebau zu nutzen. Wir renovierten es und machten einen Coworking-Space mit einem Yogastudio daraus, es fanden sich bald weitere Personen, die sich uns anschlossen. Wir waren nie auf Profit aus, James hatte ja immer noch sein Start Up, ich hatte meine Texterei. Wären wir länger geblieben, hätten wir das Konzept sicher überdenken müssen. Nach 18 Monaten bekam ich meine Aufenthaltsgenehmigung und für uns war es klar, dass British Columbia unser neues/ altes Zuhause wird. Für meinen Mann war es dort auch beruflich einfacher. Ein Start-Up aus der Ferne lenken ist nicht einfach. Wir wollten unseren Weg als Paar noch einmal neu finden, denn zu viele Variablen in dieser Gleichung sind ins Ungleichgewicht geraten. In Berlin war es aufgrund der Sprache z. B. nicht einfach gewesen, einen Job zu finden, alles stellte sich als ein größerer Aufwand heraus und wir ertappten uns bei einem ständigen Abtasten vom jeweiligen Mindset. Wenn man gemeinsam einen Weg finden möchte, aber alles ringsum nicht konstant ist, ist das sehr schwer. Deshalb war klar, wenn wir eine gemeinsame Zukunft wollen, müssen wir uns auf einen Ort und auf eine Tätigkeit festlegen. Nach einer kleinen Auszeit war für uns klar: Vancouver wir kommen! Uns hält nichts mehr in Europa. Und so zogen wir nach Kanada gezogen, wo James nach wie vor eine Wohnung hatte. Das war auch der Anfang unserer kleinen Familie.

Wie ging es in Vancouver weiter?

Als wir in Kanada waren, war bald darauf unsere erste Tochter unterwegs. Wir haben dann aber für uns festgestellt, dass das nicht unsere ideale Version des sorgenfreien Aufwachsens ist. Wir lebten in Gastown, dem ältesten Viertel Vancouvers. Viele Sehenswürdigkeiten, Touristenmassen und Straßenkriminalität. Mein Mann war schon vor unserem Kennenlernen auf der Suche nach einem kleinen Ort gewesen, an dem man sich zurückziehen konnte – für ein Wochenende. Oder für länger. Und so reisten wir nach Salt Spring Island. Man muss in dem Fall tatsächlich von reisen sprechen, denn um auf die Insel zu kommen, muss man zwei Fähren nehmen oder fliegt mit dem Wasserflugzeug. Wir haben uns sofort in die Insel verliebt. Und als wir auf der Suche nach einem geeigneten Cottage waren, fanden wir unser Traumgrundstück und beschlossen, darauf ein Haus zu bauen. Wir haben uns ein skandinavisch inspiriertes Haus gebaut. Und da leben wir jetzt mit unseren beiden Mädels.

Es hört sich an, als ob du nach den vielen Stationen angekommen wärst.

Ja, wir sind angekommen, weil wir bei uns selber angekommen sind. Unsere zweite Tochter, hat sicher sehr viel dazu beigetragen. Aber irgendwie spüren wir schon, dass uns wieder der Travel bug gebissen hat und uns zu jucken beginnt – diesmal eher aus einer Elternperspektive. Jetzt, wo unsere Große im Kindergarten ist, stellen wir uns die Frage, was unsere Kinder lernen müssen, um in 15 Jahren die notwendigen Skills für diese immer komplexer werdende Welt zu haben. In Nordamerika ist alles, was Schulausbildung betrifft, sehr performance-orientiert – das Curriculum der Schulen deckt aber nicht unbedingt jene Fähigkeiten, die die Kinder brauchen werden. Wie zum Beispiel, Problemlösung, kreativ zu bleiben, Empathie, Kommunikation – all das kann im Regelschulbetrieb nur begrenzt gefördert werden. Uns war das bei der Auswahl einer Schule aber wichtig, so ist unser ältestes Mädchen nun in einer Privatschule, wo einerseits der Großteil des Unterrichts draußen stattfindet aber besagte Kompetenzen groß geschrieben werden und die Schulklassen extrem klein sind.

Das heißt eure Reise ist hier in Salt Spring Island noch gar nicht zu Ende?

Stimmt! Wir planen in den nächsten Jahren unseren Lebensmittelpunkt nach Bali oder Neuseeland zu verlagern weil wir dort eine Schule gefunden haben, die uns begeistert: Die “Green School”. Sie beinhalten alles,  was wir uns als Schulausbildung für die Mädels wünschen. Und weil das natürlich nicht ganz billig ist, haben wir begonnen, unser Leben rigoros zu planen, was die finanzielle Seite angeht, von Investment in Start Ups oder Immobilien bis hin zur Börse. Und wir beschäftigen uns damit, wie wir ein neues Business aufbauen können, das wir gänzlich automatisch und aus der Ferne führen können – das sind unsere aktuellen Herausforderungen, für die wir Lösungen entwickeln. Weil wir sicherstellen möchten, dass unsere Kinder die beste Ausbildung bekommen. Damit meine ich nicht eine eine Aufnahme in die Ivy League wie Stanford oder Harvard – vielleicht wird’s das ja auch einmal – sondern dass sie gut gewappnet sind. Nicht durch das herkömmliche Schulsystem geprägt, sondern die Freigeister, die sie als kleine Kinder natürlich sind, bleiben dürfen. Und deshalb begeben wir uns auf diese neue Reise, im Namen unserer Kinder. Neben all den bürokratischen und finanziellen Hürden müss wir uns auch mit der neuen Location auseinandersetzen, mit den Menschen, mit der neuen Kultur, wir müssen unseren Kindern emotional und materiell Sicherheit bieten Wir definieren deshalb gerade ganz genau was es für uns bedeutet, noch einmal auf die Reise zu gehen.

Also die Antwort auf die Frage “How did I get here” ist in dem Fall keine endgültige.

Ja, ganz richtig. Sie lautet eher “How will I get there?” Wir sind alle nur Gäste auf dieser  Welt. Und als Gäste haben wir auch eine ganz konkrete Verantwortung, die Erde auch noch für die nächsten Gäste zu bewahren. Dazu gehört es, bestmöglich zur Erhaltung beizutragen. Was für ein Beitrag auch immer das sein mag, Hauptsache es wird erhalten und nachhaltig verbessert und nicht zerstört.

Vitae

Anna-Lina wurde in Vorarlberg geboren und lebt heute als Kommunikationsberaterin und Texterin mit ihrer Familie im kanadischen Saltspring Island.

2011 beschließt sie ein Sabbatical zu machen und sich eine Auszeit von einer bis dato sehr erfolgreichen Karriere in einer Baufirma zu nehmen. Es ist eine Auszeit, von der sie nicht mehr in die Corporate World zurückkehrt.

The Place

Saltspring Island gehört zu den Südlichen Gulf Islands, die wiederum vor Vancouver liegen. Auf der Insel leben rund 10.000 Menschen und wenn ich aus dem Fenster sehe, sehe ich das Meer. Vor meinem Fenster ist das Nest eines Weißkopfseeadlers und im Garten stehen Rehe und fressen meinen Lavendel, es ist alles sehr … idyllisch.

My Stations

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